Nils Herzogenrath aka Vomit Heat is in the prime of his life and lives in Cologne. As a multi-instrumentalist he played with Ωracles, Transport, Skuffface, GRAS, Nasssau and Open Ticket and can also be heard on numerous collaborations. Between Cologne and Berlin, he moves in a scene of artists that knows about the musical past and designs the sounds of the future in an exciting present. He is one of its most important protagonists.

His solo releases Spirit Desire and Second Skin as well as various singles have appeared on Ana Ott so far.
Nils is on Instagram.
Photo: Svea Mausolf
Photo: Tobias Huschka
Spirit Desire (LP. 2016)
B-Sides (2022)
Heute (Single, 2021)
Second Skin (LP, 2022)
Video: Marian Mayland
Video: Ramírez Pérez
Video: Alice Cohen
Video: Kurt Fasnacht
And on Spotify.
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»Second Skin« ist das zweite Album des Kölner Musikers Vomit Heat. Klang und Struktur dieses zehnteiligen Meisterwerks zeigen sich abstrakt betrachtet in einer überaus dichten Oberfläche, in dynamischen Rhythmen, in treibenden Bassläufen, flächigen Gitarren und Synthesizern, verbunden mit einer selbstsicheren und facettenreichen Stimme. Sie lassen eine Dichte erklingen, die Vomit Heat aus den zahllosen übereinanderliegenden Soundebenen erschaffen hat, die er in den letzten sechs Jahren aufnahm und immer wieder verwarf, bis er schließlich zu jener zweiten Haut gefunden hatte, die hier nun vorliegt. Die Produktion gelobt die teppichartigen, soghaften Soundflächen von My Bloody Valentine, der kluge und enthusiastisch auch an den Avantgarden geschulte Pop-Zugriff mahnt an Bradford Cox‘ Deerhunter, die Repetition zeigt sich inspiriert von Wolfgang Voigts frühem GAS.

Der Albumtitel lässt sich dabei zunächst wie eine Wesensbeschreibung des Musikalischen interpretieren: Die Stücke sind anschmiegsam, gefertigt aus hochwertigen Stoffen, sind feinsinnig verziert, spenden Wärme, zeigen Schönheit. Sie tragen sich wie eine zweite, eine unsichtbare Haut. Doch durchdringt man sie, stößt man auf den Körper darunter. Dort findet man Nils Herzogenrath. Die Texte entstammen der Erlebniswelt eines jungen Menschen, dessen unerschöpfliche Kreativität, Schaffenslust und musikalische Virtuosität sich immer auch nahe tiefer Abgründe weiß: Dematerialize, Leere, Anxiety – Titel, die bezeichnen. Folgt man seinen Worten, wird schnell klar: Schönheit, Leichtigkeit, Lebenslust und Freude liegen hier an einem Körper an, der oft vom Gegenteil erfahren hat.

Die zweite Haut ist Kleid und Schutz. »Second Skin« ist Vomit Heats weiche, flexible Rüstung. Seine zweite Haut ist die Musik. Sie hat Nils Herzogenrath gerettet, rettet ihn noch. Und öffnet man sich dieser Platte, dringt man vor zum Wesen eines musikalischen Universalmeisters, der mit seiner zweiten Haut verwachsen ist. Nils Herzogenrath und Vomit Heat haben ihre Häute aneinandergelegt, sie sind eins geworden.

I’m Over You, erster Song und erste Single, zeigt Musik im oben beschriebenen Sinne bereits programmatisch als ein Aufschreibesystem, als Verarbeitungswerkzeug, das gleichsam Ventil sein kann, negative Energie in etwas Schönes zu transformieren. Schon in diesen ersten Minuten zeigt sich Vomit Heat dabei als virtuoser und vielseitiger Sänger, der nicht zuletzt an das warme Charisma Grant Harts erinnert.

Auch Dematerialize folgt dieser unaufdringlichen Programmatik, zeigt auf, wieviel ambivalente Schönheit in einem Musikstück liegen kann, ruft Dreampop und Shoegaze auf. Nun, und es beschreibt einen transzendenten Erfahrungsraum, handelt der Text doch letztlich von LSD. Doch die Stimme erdet den Trip, leitet uns Hörer verlässlich weiter durch diese Traumreise von Album.

Hin und wieder tritt Vomit Heats starke Stimme zurück, lässt andere Menschen erklingen: Leere etwa, das erste Stück, das Vomit Heat mit einem deutschen Text geschrieben hat, wird von Stella Sommer gesungen, die sich hier in einem an der Energie von Sonic Youth entworfenen Song einfindet, der ihr ebenso gut zu Gesicht steht wie ihre eigenen Kompositionen.

So geht es glanzvoll weiter, mit Anxiety etwa, das als klare Hommage an Kevin Shields zu begreifen ist und in dem sich auch das kollaborative Arbeiten fortsetzt, bringt Vomit Heat mit Hanitra Wagner und Elisa Kühnl hier doch zwei Stimmen ins Spiel, die einen 4AD-Vibe à la Cocteau Twins oder X-Mal Deutschland entstehen lassen.

Nach dem vertrackten, in der Dramaturgie des Albums experimentellsten Dream OD dann macht Coincidences deutlich spürbar, wie maßgeblich Vomit Heat als Songwriter für seine frühere Band Ωracles wirkte.

In Close To Invisible, das auch als Single ausgekoppelt wird, hören wir darauffolgend einen tiefen und selbstsicheren Gesang, wohnen zeitgleich nicht nur einem der aufregendsten Songwriter des gegenwärtigen Undergrounds bei, sondern auch einem gefühlvollen Dichter, der hier den poetischen Schlüssel zum Album liefert: When I renounced my faith / I knew that you’re a sin / I crawl back to my cave / Inside of your syringe / From my own surgery / The past that I survived / To wear my second skin / As fag who feels alive

Wir nähern uns dem Ende: Ornamental bietet kurz vor der Landung Raum zum Durchatmen, woraufhin sich Different Live zu Pop-Momenten im Stile Tame Impalas hinreißen lässt.

Das zehnte und letzte Stück verortet dieses wunderbare Album in der Gegenwart – und dann wieder auch nicht: Heute trägt den stärksten Retro-Anstrich, zeigt sich als psychedelischer Moment – und lädt zum fulminanten Finale die Kollegen von International Music ein, die hier auch den Text geschrieben haben.
Bumm! So schnell geht das. Und zehn Songs später ist die Seele der Hörenden um ein Wunderwerk von einem Album reicher …
Hendrik Otremba über Second Skin
With Stella Sommer. Photo: Tobias Huschka